2. Gesamt- und Einzelverträge

Nach dem ASVG (die Sonderversicherungsgesetze verweisen diesbezüglich ebenfalls auf das ASVG) werden die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten durch Gesamtverträge geregelt. Derartige Gesamtverträge wirken ähnlich wie Kollektivverträge und beinhalten einerseits Regelungen, die für den einzelnen Vertragsarzt unmittelbar rechtsverbindlich werden (normativer Teil), und andererseits Regelungen, welche die den Gesamtvertrag abschließenden Parteien berechtigen und verpflichten (schuldrechtlicher Teil). Bestandteil eines jeden Gesamtvertrags ist die jeweilige Honorarordnung, die die Vergütung für die ärztlichen Leistungen regelt.

Ein Gesamtvertrag wird zwischen der örtlich zuständigen Ärztekammer (Landesärztekammer) bzw. der Österreichischen Ärztekammer und dem jeweiligen Sozialversicherungsträger abgeschlossen. Zwischen der Österreichischen Ärztekammer und dem Hauptverband (nunmehr: Dachverband) wurde kurz nach Einführung des ASVG ein Muster-Gesamtvertrag vereinbart, dem die einzelnen Gesamtverträge in den Grundsätzen nachgebildet wurden.

Daneben gibt es noch gesonderte Gesamtverträge, welche zwischen dem Hauptverband (nunmehr: Dachverband) und der Österreichischen Ärztekammer abgeschlossen wurden. Diese sind etwa der Gesamtvertrag über die Gesunden- bzw. Vorsorgeuntersuchung, der Gesamtvertrag über die arbeitsmedizinische Betreuung, der Gesamtvertrag über den Tätigkeitsumfang der Zahnambulatorien der E-Card-Gesamtvertrag, der Anstellung-Ärzte-Gesamtvertrag oder der Mutter-Kind-Pass-Gesamtvertrag.

 

Ein Gesamtvertrag bindet nicht gleich automatisch jeden Arzt. Es ist zwischen dem Sozialversicherungsträger und dem zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Arzt ein Einzelvertrag abzuschließen, wodurch der Arzt erst zum Vertragsarzt des Sozialversicherungsträgers wird. Der Inhalt des Einzelvertrags ist durch den jeweiligen Gesamtvertrag vorgegeben. Vereinbarungen im Einzelvertrag, die dem Gesamtvertrag widersprechen, sind unwirksam. Dadurch ist gewährleistet, dass für jeden Vertragsarzt dieselben Rechte und Pflichten gelten und er seine ärztlichen Leistungen nach denselben Tarifen honoriert bekommt.

Durch den Abschluss des Einzelvertrags entsteht kein Angestelltenverhältnis.

 

Der eigentliche Einzelvertrag ist recht kurz und verweist weitgehend auf die Regelungen im Gesamtvertrag. Sie finden im Anschluss an diesen Beitrag ein Vertragsmuster – nach dem Vorbild des Muster-GV – abgedruckt.

Der Vertragsarzt hat sich mit dem Sozialversicherungsträger im Einzelvertrag über die Ordinationszeiten, und hier insbesondere über die Dauer und die Lage der Ordinationszeiten, zu einigen. Auch der Berufssitz und die Ordinationsstätte werden im Einzelvertrag festgehalten.

 

Kündigt einer der Gesamtvertragsparteien den Gesamtvertrag auf, kann es in weiterer Folge zu einem sogenannten vertragslosen Zustand kommen. Dieser muss allerdings nicht immer gleich mit Ablauf der Kündigungsfrist eintreten. Das ASVG sieht vor, dass die Bundesschiedskommission auf Antrag der Österreichischen Ärztekammer, des Dachverbands oder des zuständigen Trägers der Krankenversicherung den Inhalt eines aufgekündigten Gesamtvertrags für die Dauer von höchstens drei Monate festsetzen und somit einen vertragslosen Zustand hinauszögern kann. Sinn dieser Regelung ist, den Gesamtvertragsparteien Zeit für weitere Verhandlungen zu geben.

Mit Eintritt des vertragslosen Zustands erlöschen auch automatisch all jene Einzelverträge, die auf der Basis dieses Gesamtvertrags abgeschlossen wurden. Vertragsärzte werden dadurch für die Patienten des betroffenen Krankenversicherungsträgers zu Privatärzten. Sie müssen die Patienten nicht mehr auf Kosten der Krankenkasse behandeln, sondern können ein Privathonorar in Rechnung stellen.

Die Patienten verlieren zwar ihren Leistungsanspruch gegenüber dem Krankenversicherungsträger nicht, sie müssen allerdings nach Bezahlung des Honorars an den Arzt um Rückerstattung der Kosten bei ihrer Krankenkasse ansuchen. Der Krankenversicherungsträger hat allerdings – so wie bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes durch den Patienten – lediglich 80 % des Betrags zu ersetzen, den er aufgrund des (nunmehr gekündigten) Gesamtvertrags an den Vertragsarzt hätte zahlen müssen.

Der letzte vertragslose Zustand, der österreichweite Auswirkungen hatte, war im Jahr 2010. Damals kündigte die Österreichische Ärztekammer per 31.12.2009 den Gesamtvertrag mit der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (nunmehr: Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen). Nach Anrufung der Bundesschiedskommission durch den Hauptverband setzte die BSK in ihrer Sitzung im März 2010 den Inhalt des Gesamtvertrags bis einschließlich 31.05.2010 fest. Da es in der Zwischenzeit zu keiner Einigung kam, trat mit 01.06.2010 der vertragslose Zustand ein. Nicht zuletzt wegen des medialen und politischen Drucks dauerte der vertragslose Zustand damals allerdings nur zwei Wochen. Danach wurde ein neuer Gesamtvertrag beschlossen und eine neue Honorarordnung erlassen.

 

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