4. Sterbeverfügung
Der assistierte Suizid und die Rolle des Arztes
Am 1. Jänner 2022 ist das Bundesgesetz über die Errichtung von Sterbeverfügungen (Sterbeverfügungsgesetz – StVfG) in Kraft getreten. Damit besteht nach einem jahrzehntelangen rechtlichen Tauziehen nun auch in Österreich für Personen, die an einer unheilbaren, zum Tode führenden oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit leiden, die gesetzliche Möglichkeit, ihr Leben frei und selbstbestimmt zu beenden. Aus rechtlicher Sicht bedarf es dafür auch der Mitwirkung von zwei Ärztinnen oder Ärzten. Nachfolgend sollen die wichtigsten juristischen Eckpunkte erläutert und offene Fragen geklärt werden.
Eine schriftliche Willenserklärung, mit der eine sterbewillige Person ihren Entschluss festhält, ihr Leben selbst zu beenden. Dieser Entschluss muss dauerhaft, frei und selbstbestimmt sein.
Das Sterbeverfügungsgesetz legt fest, dass nur Personen, die entweder
1. an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder
2. an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen, eine Sterbeverfügung errichten dürfen. Eine Sterbeverfügung kann zudem nur wirksam errichtet werden, wenn die sterbewillige Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat oder österreichische Staatsangehörige ist. Die Errichtung einer „prophylaktischen“ Sterbeverfügung, also die Verwendung der Sterbeverfügung als eine Art Vorsorgeprodukt für den Fall, dass zB eine Krankheit in ein paar Jahren akut und damit auch der Sterbewunsch konkret werden sollte, ist wohl ausgeschlossen.
Nein, denn das Gesetz sieht vor, dass sterbewillige Personen zu jedem Zeitpunkt – von der Errichtung der Sterbeverfügung bis hin zur Einnahme des letalen Präparates – entscheidungsfähig sein müssen. Ebenso kann bei Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit die Abklärung des Vorliegens derselben durch eine einschlägige Fachärztin/Facharzt sinnvoll erscheinen.
Ein psychisches Leiden schließt die Möglichkeit der Errichtung einer Sterbeverfügung nicht per se aus. Auch eine psychische Erkrankung kann eine schwere, dauerhafte Krankheit mit anhaltenden Symptomen im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes darstellen, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen (vgl unten “Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit“).
Grundsätzlich ist das zwar möglich, ergibt sich aber im Rahmen der ärztlichen Aufklärung ein Hinweis darauf, dass bei der sterbewilligen Person eine krankheitswertige psychische Störung vorliegt, deren Folge der Wunsch zur Beendigung ihres Lebens sein könnte, ist eine Abklärung dieser Störung einschließlich einer Beratung
- durch eine Fachärztin/einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin oder
- eine klinische Psychologin/einen klinischen Psychologen
zu veranlassen.
Das ist nicht möglich, denn das Gesetz sieht vor, dass eine Sterbeverfügung nur durch volljährige Personen errichtet werden kann.
Die Sterbeverfügung ist schriftlich von einer/einem Notar*in oder einer/einem rechtskundigen Mitarbeiter*in der Patientenvertretungen zu errichten. Zudem hat diese/dieser bestimmte Informationen an das Sterbeverfügungsregister zu übermitteln. Die Errichtung einer Sterbeverfügung setzt aber vor Errichtung eine ärztliche Aufklärung durch zwei Ärztinnen/Ärzte voraus.
Noch vor der Errichtung der Sterbeverfügung ist die sterbewillige Person aufzuklären. Die Aufklärung erfolgt in einem zweistufigen Verfahren durch zwei Ärztinnen/Ärzte, von denen zumindest eine/einer eine palliativmedizinische Qualifikationen aufzuweisen hat, und die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und den freien und selbstbestimmten Entschluss zur Lebensbeendigung geäußert hat.
Ja, die Mindestinhalte der Aufklärung betreffen:
- Vorliegen einer unheilbaren, zum Tod führenden Erkrankung bzw schweren dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen, deren Folgen die gesamte Lebensführung dauerhaft beeinträchtigt und in beiden Fällen das Vorliegen des nicht anders abwendbaren Leidenszustands
- die möglichen Behandlungs- oder Handlungsalternativen (insbesondere Hospizversorgung und palliativmedizinische Maßnahmen),
- den Hinweis auf Vorsorgeinstrumente (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Vorsorgedialog),
- die Dosierung (nicht Rezeptierung!) des Präparats samt notwendiger Begleitmedikation,
- die Art der Einnahme des Präparats und dessen Auswirkungen samt Hinweis, dass mit einer Patientenverfügung lebensrettende Behandlungen abgelehnt werden können,
- Hinweise auf konkrete Angebote für ein psychotherapeutisches Gespräch und suizidpräventive Beratung sowie weitere im konkreten Fall zielführende Beratungsangebote.
Die Ärztin/der Arzt hat die Aufklärung samt Inhalt zu dokumentieren. Es muss aber nicht jede/r Ärztin/Arzt über sämtliche angeführten Inhalte aufklären, insgesamt muss aber durch beide aufklärenden Ärzte zusammen über alle notwendigen Angelegenheiten aufgeklärt worden sein, dh die Teile des Aufklärungsgesprächs können entweder aufgeteilt werden oder aber, was in der Praxis möglicherweise der häufigere Fall sein wird, beide Ärzte klären jeweils über alle Teile auf. Die Dokumentation muss bestimmte persönliche Daten der sterbewilligen Person und der aufklärenden Person sowie das Datum der Aufklärung enthalten. Jede der zwei ärztlichen Personen hat mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen freien und selbstbestimmten Entschluss geäußert hat. Eine verpflichtende Dokumentation durch den Arzt im elektronischen Sterbeverfügungsregister ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, wenngleich diese sinnvoll sein kann.
Die ärztliche Standesvertretung erarbeitet gerade ein derartiges Dokument, das bald als Unterstützung zur Verfügung stehen wird. Daneben haben unterschiedliche Vereine und Institutionen, die sich mit diesem Thema intensiv auseinander setzen, dafür bereits Musterformulare erstellt, die für den Zweck durchaus geeignet und brauchbar sind.
Die Mitwirkung an der Errichtung einer Sterbeverfügung stellt keine Kassenleistung dar – von Seiten der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte wurde für die Durchführung des Aufklärungsgesprächs und notwendige schriftliche Aufklärungsdokumentation ein Empfehlungstarif im Ausmaß von EUR 132,- je angefangener ½ Stunde beschlossen.
Grundsätzlich dürfen alle zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten Ärzte ein derartiges Aufklärungsgespräch durchführen – allerdings gibt es aber gerade in diesem Zusammenhang dienstrechtliche Vorgaben, die es angestellten Ärzten oftmals verbieten, derartige Aufklärungsgespräche in der Dienstzeit durchzuführen. In der Praxis sind es daher oftmals niedergelassene Ärzte, die diese Gespräche übernehmen und die notwendigen Atteste ausstellen.
Eines dieser beiden Atteste ist gem § 7 SVfG von einer Ärztin/einem Arzt auszustellen, die/der eine palliativmedizinische Qualifikation aufweisen kann. Über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen u.a. sowohl ärztliche Personen, die eine Spezialisierung in Palliativmedizin nach der Verordnung über Spezialisierungen (SpezV) der Österreichischen Ärztekammer aufweisen, als auch Ärzte, die ein ÖÄK Diplom Palliativmedizin gemäß der Verordnung über ärztliche Weiterbildung der Österreichischen Ärztekammer absolviert haben.
Die Ärztekammer für Oberösterreich hat bereits unter jenen Ärztinnen und Ärzten, die über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen, deren Bereitschaft zur Durchführung bzw. Übernahme eines solchen Aufklärungsgespräches erfragt und jene Ärztinnen und Ärzte auf eine intern geführte und nicht öffentlich zugängliche Liste aufgenommen. Für die Durchführung des zusätzlich notwendigen zweiten Aufklärungsgesprächs, ist eine derartige palliativmedizinische Qualifikation nicht erforderlich und kann dieses Gespräch von allen Ärztinnen und Ärzten, die zur selbstständigen Berufsausübung berechtigt sind, übernommen werden. Auch in diesem Zusammenhang haben sich einige Ärztinnen und Ärzte gemeldet, die sich bereit erklärt haben, diesen Part des Aufklärungsgesprächs zu übernehmen und wurden auf die oben genannte Liste aufgenommen. Die Namen jener Ärztinnen und Ärzte, die zur beschriebenen Mitwirkung bereit sind, werden nicht im Internet oder sonst wo veröffentlicht.
Wir werden diese Liste ausschließlich an behandelnde Ärztinnen und Ärzte bzw. ebenso an Ärztinnen und Ärzte weitergeben, die von sterbewillige Personen, die an einer unheilbaren, zum Tode führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden, um Mitwirkung an der Sterbeverfügung gebeten werden.
Wenn Sie bereit sind, die Aufgabe für sterbewillige Personen zu übernehmen, dann ersuchen wir Sie sich bei Frau Julia Nobis (0732-77 83 71 DW 255) zu melden. Eine Zustimmung kann selbstverständlich jederzeit widerrufen werden.
Selbstverständlich steht es Ihnen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben frei, auch ohne Registrierung bei der Ärztekammer für Oberösterreich an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken, wenn sie zur selbstständigen Berufsausübung berechtigt sind.
Diese Frage wird nicht im Sterbeverfügungsgesetz geregelt, handelt es sich dabei doch um eine Frage des Dienstrechts. Sie ist daher jeweils direkt mit dem Träger der Krankenanstalt zu klären und kann der Dienstgeber mittels dienstrechtlicher Anordnung die Durchführung eines derartigen Aufklärungsgesprächs während der Dienstzeit untersagen.
Die Ärztin/der Arzt, die/der über die Behandlungsalternativen aufklärt, hat das Vorliegen einer unheilbaren bzw schweren Krankheit (vgl „Gibt das Gesetz für die Aufklärung Mindestinhalte vor?“) und eine glaubwürdige Erklärung der betroffenen Person über einen für sie nicht anders abwendbaren Leidenszustand zu bestätigen.
Grundsätzlich wurde bereits im Sterbeverfügungsgesetz und daran anknüpfend in der sogenannten Sterbeverfügungs-Präparate-V vom Gesetzgeber geregelt, dass Natrium-Pentobarbital als (derzeit) einzig zulässiges Präparat im Rahmen der Errichtung einer Sterbeverfügung vorgesehen ist. Die Ärztin/der Arzt hat allerding die genaue Dosierungsanordnung (laut Sterbeverfügungs-Präparate-Verordnung 15 mg des Reinstoffes) zu treffen und in die Aufklärungsdokumentation aufzunehmen. Neben der genauen Dosierungsanordnung, ist auch die Einnahmeform – oral oder intravenös – in die Aufklärungsdokumentation aufzunehmen. Gleichzeitig ist auch die notwendige Begleitmedikation in der Aufklärungsdokumentation festzulegen.
Die Abgabe des Präparates erfolgt in einer öffentlichen Apotheke. Die Ausstellung eines Rezepts ist dafür nicht notwendig, da die genaue Dosierungsanordnung und Einnahmeform als Teil der Aufklärungsdokumentation in die Sterbeverfügung aufgenommen werden müssen. Die Sterbeverfügung ist von der sterbewilligen Person oder von einer in der Sterbeverfügung namentlich genannten Hilfe leistenden Person jener Apotheke, von welcher das Präparat bezogen werden soll, vorzulegen. Die Österreichische Apothekerkammer hat auf Anfrage die nächstgelegenen Apotheken, bei denen das Präparat bezogen werden kann, bekannt zu geben.
Wurde bereits ein Präparat an die sterbewillige Person ausgefolgt, so ist die Abgabe eines weiteren Präparats nur zulässig, wenn das zuerst abgegebene Präparat gleichzeitig zurückgegeben wird, oder in der Sterbeverfügung ein Verlust- oder Diebstahlsvermerk enthalten ist.
Eine Sterbeverfügung kann wirksam frühestens zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung errichtet werden. Hat eine ärztliche Person bestätigt, dass die sterbewillige Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Erkrankung leidet und in die terminale Phase (= Krankheit hat ein Stadium erreicht, in dem sie nach medizinischem Ermessen voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten zum Tod führen wird) eingetreten ist, so ist eine Errichtung bereits nach zwei Wochen zulässig.
Wird eine Sterbeverfügung nicht innerhalb eines Jahres nach der zweiten ärztlichen Aufklärung errichtet, so muss die sterbewillige Person eine neuerliche ärztliche Bestätigung beibringen, die wieder ein Jahr lang gültig ist.
Können die aufklärenden Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig als hilfeleistende Personen in der Sterbeverfügung genannt sein?
Die/der Sterbewillige kann sich einer oder mehrerer Person(en) bedienen, die bereit ist (sind), die sterbewillige Person bei der Durchführung der lebensbeendenden Maßnahme zu unterstützen – dies können auch Ärzte sein, wenn sie sich dazu bereit erklärt haben. Der Gesetzgeber hat allerdings vorgesehen, dass die Hilfe leistende Person nicht mit der Person ident sein darf, die die Aufklärung geleistet oder die Sterbeverfügung dokumentiert hat. Der aufklärende Arzt darf daher nicht am eigentlichen Sterbevorgang mitwirken.
Laut Sterbeverfügungsgesetz ist es verboten, mit der Hilfeleistung zu werben. Das Werbeverbot umfasst Werbung, die eigene oder fremde Hilfeleistung oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Selbsttötung geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt oder anpreist. Darüber hinaus ist es verboten, sterbewilligen Personen eine Hilfeleistung anzubieten oder diese durchzuführen, wenn man sich oder einem Dritten dafür wirtschaftliche Vorteile versprechen lässt oder annimmt, die über den Ersatz des nachgewiesenen Aufwands hinausgehen.
Zulässig und ausdrücklich keine verbotene Werbung ist jedoch der Hinweis auf die Möglichkeit der Errichtung einer Sterbeverfügung. Ärztinnen und Ärzte dürfen darauf hinweisen, dass sie eine Aufklärung im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes anbieten bzw. wo eine solche Aufklärung angeboten wird.