Unterlassung der Meldung einer Berufskrankheit – Haftung für Versehrtenrente
Sachverhalt:
Ein Steinmetz wurde im Dezember 1996 wegen eines Lungenkarzinoms im Krankenhaus X operiert. Der Steinmetz brachte im August 1999 einen Antrag auf Versehrtenrente ein. Seitens der AUVA wurde die Lungenkrankheit als Berufskrankheit anerkannt. Die Versehrtenrente wurde ab August 1999 gewährt. Hätte das Krankenhaus bereits im Dezember 1996 eine Meldung an die AUVA wegen der Berufskrankheit gemacht, wäre die Versehrtenrente bereits ab Dezember 1996 ausbezahlt worden.
Der Steinmetz klagte daraufhin die Differenz der Rente zwischen Dezember 1996 und August 1999 vom Krankenhaus ein (ca. € 42.000,–).Ö ÄRZTE 2/09
Entscheidung des OGH:
Der Klage wurde stattgegeben und das Krankenhaus zum Ersatz der Rente verpflichtet. Als wesentliche Begründung hierfür wurde vom Gerichtshof folgende Argumentation dargelegt: § 363 Abs. 2 ASVG normiert eine Anzeigepflicht des Arztes bei Vorliegen (des Verdachtes) auf eine Berufskrankheit. Dieser Verpflichtung ist das Krankenhaus nicht nachgekommen. Diese Bestimmung wurde vom Gerichtshof einerseits als „Schutzgesetz“ und andererseits als Nebenpflicht und damit Teil des Behandlungsvertrages mit dem Patienten (Steinmetz) definiert. Dies führt zur sog. Beweislastumkehr, d.h. nicht der Patient muss beweisen, dass das Krankenhaus ein Verschulden an der Nichtmeldung trifft, sondern das Krankenhaus muss beweisen, dass es kein Verschulden an der Nichtmeldung der Berufskrankheit trifft. Das vom Krankenhaus vorgebrachte Argument, dass es aufwändig sei, im Spital festzustellen unter welchen beruflichen Lebensumständen der betroffene Patient gelebt habe und ob daher der Verdacht einer Berufskrankheit gegeben sein könnte, wurde vom OGH als nicht ausreichend und damit nicht haftungsbefreiend erachtet. Auch ein zweiter Einwand des Rechtsträgers wurde als verfehlt abgetan. Das Krankenhaus verwies darauf, dass der betroffene Patient selbst Anzeige an die AUVA erstatten hätte können und damit bereits im Dezember 1996 zur Versehrtenrente gelangen hätte können. Das Argument des Steinmetz, dass er nichts von dieser Möglichkeit gewusst hätte, ging nach Ansicht des Krankenhauses deshalb ins Leere, da gem. § 2 ABGB sich niemand auf die Unkenntnis des Gesetzes berufen könne. Der Steinmetz sei daher sorglos in eigenen Angelegenheiten gewesen, ihn treffe daher mindestens ein Mitverschulden und das Krankenhaus müsse daher höchstens einen Teil der verlorenen Rente tragen. Diesem Argument hielt der Gerichtshof entgegen, dass die Anzeigepflicht des Arztes (und des Dienstgebers) deshalb zwingend statuiert wurde, da ansonsten zu befürchten wäre, dass vorliegende Berufskrankheiten ungemeldet blieben, sei es, weil betroffene Dienstnehmer aus Angst um den Arbeitsplatz/soziale Stellung etc. einer Meldung ablehnend gegenüber stehen würden oder auch der Dienstgeber ev. versuchen könnte Meldungen zu unterbinden. Daher könne von einem Mitverschulden des Steinmetz nicht mehr ausgegangen werden, da er sich auf die Meldung durch das Krankenhaus – das diese Meldung in jedem Fall hätte machen müssen – verlassen hätte können.
Das Krankenhaus haftet daher für das Verschulden der betroffenen Ärzte im Rahmen der Gehilfenhaftung wie für eigene Verschulden und muss damit die „verlorene Versehrtenrente“ bezahlen.
Tipps für die Praxis:
Einen Vorteil hat diese Erkenntnis: Es hat die leider oftmals in Vergessenheit geratene Anzeigepflicht von Berufskrankheiten für Ärzte einmal ans Licht geholt.
Hier zur Wiederholung:
Anzeigepflicht von Berufskrankheiten (§ 363 Abs. 2 ASVG):
Jeder Arzt (nicht etwa „nur“ Betriebsmediziner oder Allgemeinmediziner) hat jedes Vorliegen einer Berufskrankheit sowie Krankheitserscheinungen, die den begründeten Verdacht auf eine Berufskrankheit zulassen, bei der Landesstelle der AUVA anzuzeigen. Dafür stellt die AUVA ein eigenes Formular zur Verfügung, das über die Homepage der AUVA (www.auva.sozvers.at) abgerufen werden kann. Die Anzeige hat in dreifacher Ausfertigung zu erfolgen. Für die Anzeige erhält der Arzt eine Vergütung von € 5,81. Die Meldung ist zwingend und hat auch gegen den Willen des Betroffenen zu erfolgen.
Wann gilt eine Krankheit als Berufskrankheit?
Das ASVG listet in einem eigenen Anhang eine Reihe von Krankheiten auf, die bei Vorliegen bestimmter Tätigkeiten bzw. in bestimmten Unternehmenssparten als Berufskrankheiten anerkannt sind. Eine aktuelle Liste der Berufskrankheiten können Sie auf der Homepage der AUVA (www.auva.sozvers.at) abrufen bzw. herunterladen. Wird seitens der AUVA festgestellt, dass eine Berufskrankheit vorliegt, wird je nach Grad der verminderten Erwerbsfähigkeit eine Versehrtenrente zugesprochen.
Wie kann ich eine Haftung bestmöglich vermeiden?
Der sicherste Weg ist und bleibt in jedem Fall der obgenannten Fälle eine Anzeige an die AUVA zu erstatten. Nicht ungefährlich ist dabei, sich darauf zu verlassen, dass ein anderer Arzt die Anzeige erstattet bzw. erstattet hat. In diesem Fall sollten Sie sich unbedingt versichern, dass tatsächlich bereits angezeigt wurde. Nach der Judikatur des OGH ist es dem Arzt zuzumuten, dass er sich bei Vorliegen von Krankheitssymptomen einer in dieser Liste enthaltenen Krankheit soweit über das Umfeld des Patienten erkundigt, dass er feststellen kann, ob eine Berufskrankheit vorliegen könnte oder nicht. Die Argumentation: „dafür habe ich keine Zeit“ oder „das war gar nicht mein Patient, ich war nur der Vertreter“ o. Ä. werden nach der obgenannten Judikatur die Haftung nicht verhindern können. Allerdings ist auf § 86 Abs. 4 ASVG hinzuweisen: Nach dieser Bestimmung kann der Antrag auf Versehrtenrente auch noch zwei Jahre nach Auftreten des Versicherungsfalles gestellt werden. Im konkreten Fall war aber auch diese Zweijahresfrist bereits verstrichen. Bitte klären Sie – wenn Sie niedergelassener Arzt sind – auch, inwieweit aufgrund Ihres konkreten Haftpflichtversicherungsvertrages Ihre Versicherung einen derartigen Schaden tragen würde.
Mag. Nikolaus Herdega, MSc.