Sterbeverfügungsgesetz beschlossen
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 11.12.2020, G 139/2019) wurde die strafgesetzliche Regelung der Beihilfe zum Selbstmord mit Wirksamkeit 01.01.2022 als verfassungswidrig aufgehoben. Zusätzlich wurde der Gesetzgeber aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Entscheidung zur Selbsttötung freiwillig erfolgt und nicht unter dem Einfluss von dritten Personen gefasst wird. Bis dahin war es daher ausnahmslos strafbar, bei einer Selbsttötung, beim so genannten assistierten Suizid, Hilfe zu leisten.
Mit dem nun seit 01.01.2022 gültigen Sterbeverfügungsgesetz soll durch ein zweistufiges Modell Schutz vor allfälligem Missbrauch geboten werden. Die Aufklärung hat durch zwei zur selbständigen ärztlichen Berufsausübung berechtigte Personen zu erfolgen, von denen eine über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen muss. Diese haben die Entscheidungsfähigkeit und den freien Willensentschluss der sterbewilligen Person zu beurteilen und im Zweifelsfall ein psychiatrisches oder klinisch - psychologisches Gutachten einzuholen. Das Gesetz legt auch genau fest, welche Mindestinhalte die Aufklärung aufzuweisen hat.
In einem zweiten Schritt ist die Sterbeverfügung schriftlich vor einer rechtskundigen Person zu errichten.
Zusammengefasst ist bei der Errichtung von Sterbeverfügungen vor allem Folgendes zu beachten:
Anwendungsbereich und Zweck
Die wirksame Errichtung einer Sterbeverfügung setzt voraus, dass die sterbewillige Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat oder österreichische Staatsangehörige ist.
Freiwilligkeit der Mitwirkung und Benachteiligungsverbot
Das Sterbeverfügungsgesetz stellt sicher, dass niemand, weder der Arzt noch der Apotheker noch sonstige Hilfspersonen verpflichtet sind, in welcher Form auch immer an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken.
Umgekehrt ist auch geregelt, dass niemand, der beispielsweise eine Aufklärung leistet oder sonst an der Sterbeverfügung mitwirkt oder diese Hilfeleistung verweigert, benachteiligt werden darf.
Inhalt der Sterbeverfügung
In der Sterbeverfügung, welche nur höchstpersönlich errichtet werden kann, ist der freie und selbstbestimmte Entschluss der sterbewilligen Person nach ausführlicher Aufklärung festzuhalten, dass das Leben selbst beendet werden soll. In dieser Verfügung können auch eine oder mehrere Hilfe leistende Personen angegeben werden.
Voraussetzungen
Die sterbewillige Person muss sowohl im Zeitpunkt der Aufklärung als auch im Zeitpunkt der Errichtung der Sterbeverfügung volljährig und zweifelsfrei entscheidungsfähig sein. Die Beendigung des eigenen Lebens muss zudem frei und selbstbestimmt, insbesondere frei von Irrtum, List, Täuschung, physischem oder psychischem Zwang und Beeinflussungen durch Dritte erfolgen. Eine derartige Verfügung kann auch nur von einer Person errichtet werden, die an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, welche die gesamte Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen, wobei die Krankheit einen für die betroffene Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringt. Die hilfeleistende Person darf außerdem nicht mit der Person ident sein, die entweder die Aufklärung durchgeführt oder die Sterbeverfügung dokumentiert hat.
Aufklärung
Die medizinische Aufklärung ist von zwei zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Ärzten, wobei einer über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen muss, durchzuführen. Beide haben unabhängig voneinander die Entscheidungsfähigkeit der sterbewilligen Person sowie auch deren freien und selbstbestimmten Entschluss zur Beendigung des Lebens zu bestätigen.
Die Aufklärung hat zumindest folgende Inhalte zu umfassen:
- Mögliche Behandlungs- oder Handlungsalternativen, insbesondere Hospizversorgung und palliativmedizinische Maßnahmen sowie einen Hinweis auf die Möglichkeit der Errichtung einer Patientenverfügung oder auf andere Vorsorgeinstrumente, insbesondere Vorsorgevollmacht oder Vorsorgedialog.
- Dosierung des Präparats (Natrium-Pentobarbital oder ein anderes, durch Verordnung festgelegtes Mittel) und Begleitmedikation zur Verträglichkeit des Medikamentes.
- Art der Einnahme des Präparats, Auswirkungen und mögliche Komplikationen bei der Einnahme und die Möglichkeit der Ablehnung lebensrettender Behandlungen mittels Patientenverfügung.
- Hinweis auf konkrete Angebote für ein psychotherapeutisches Gespräch sowie für suizidpräventive Beratung und
- Hinweis auf allfällige weitere im konkreten Fall zielführende Beratungsangebote.
Die wesentlichen Inhalte dieser Aufklärung sind schriftlich zu vermerken. Mittels Unterschrift sind die Aufklärung, die Entscheidungsfähigkeit der sterbewilligen Person und deren freier und selbstbestimmter Entschluss zur Beendigung des Lebens zu bestätigen. Weiters ist das Vorliegen einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen und dieser Leidenszustand nicht anders abwendbar ist, ärztlich zu bescheinigen.
Sollten sich im Rahmen dieser Aufklärung ein Hinweis auf eine krankheitswerte psychische Störung ergeben, deren Folge der Wunsch der Beendigung des Lebens sein könnte, ist vor Ausstellung dieser Bestätigung eine Abklärung einschließlich Beratung durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin oder einen klinischen Psychologen zu veranlassen.
Errichtung der Sterbeverfügung
Die Sterbeverfügung ist schriftlich entweder vor einem Notar oder einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretung zu errichten, die ihrerseits die gesetzlich dafür vorgeschriebenen Voraussetzungen einzuhalten haben. Eine Sterbeverfügung kann wirksam frühestens zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung errichtet werden, ausgenommen es wird ärztlich bestätigt, dass die sterbewillige Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Erkrankung leidet und bereits die terminale Phase (voraussichtlicher Tod innerhalb von 6 Monaten) eingetreten ist. In diesem Fall ist eine Errichtung nach zwei Wochen zulässig. Wird eine Sterbeverfügung nicht innerhalb eines Jahres nach der zweiten ärztlichen Aufklärung errichtet, so muss die sterbewillige Person erneut die Bestätigung eines Arztes einholen.
Dokumentation und Sterbeverfügungsregister
Diejenige Person, vor der die Sterbeverfügung errichtet wurde, hat das Original dieser Verfügung an die sterbewillige Person auszuhändigen. Eine Kopie ist für die Dauer von fünf Jahren nach Ablauf der Jahresfrist, wenn kein Präparat bezogen wurde, ansonsten zehn Jahre nach der Errichtung aufzubewahren. Die Sterbeverfügung verliert ihre Wirksamkeit, wenn die sterbewillige Person sie widerruft oder zu erkennen gibt, dass sie nicht mehr gültig sein soll, sowie nach Ablauf eines Jahres nach ihrer Errichtung.
Zudem hat der zuständige Bundesminister für das Gesundheitswesen ein elektronisches Sterbeverfügungsregister zu führen. Die Totenbeschauungsärzte haben eine gesonderte Meldung an den Verantwortlichen für dieses Register zu erstatten, wenn Hinweise vorliegen, dass der Tod in einem unmittelbaren oder mittelbaren kausalen Zusammenhang mit der Einnahme eines Präparats steht.
Diese Meldung hat folgende Informationen zu enthalten:
- Identifikationsdaten der verstorbenen Person;
- Datum und Ort des Todes;
- Falls bekannt, ob eine Sterbeverfügung errichtet wurde, und falls bekannt, Datum der Errichtung;
- Allfällige Anordnung einer Leichenöffnung oder Obduktion;
- Meldenden Totenbeschauarzt;
- Datum der Meldung;
Abgabe des tödlichen Medikamentes
Ein derartiges Präparat darf nur von einer öffentlichen Apotheke in der in der Sterbeverfügung angegeben Dosierung samt der erforderlichen Begleitmedikation entweder an die sterbewillige oder eine in der Sterbeverfügung namentlich genannte hilfeleistende Person und nach Vorlage einer wirksamen Sterbeverfügung abgegeben werden. Diese Abgabe oder auch eine allfällige Zurückgabe sind an das Sterbeverfügungsregister unter Angabe des Datums, der abgebenden Apotheke und der Identifikationsdaten der abgebenden Person zu melden. Vor der Abgabe des Präparats unterliegt der Apotheker einer gesetzlich determinierten Überprüfungspflicht hinsichtlich Identität etc.
Werbeverbot und Verbot wirtschaftlicher Vorteile
Jegliche Werbung mit einer allfälligen Hilfeleistung ist verboten sowie auch die Werbung, eigene oder fremde Hilfeleistung oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Selbsttötung geeignet sind, anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen. Für diese Fälle ist auch der „bloße Versuch“ strafbar.
Außerdem besteht das Verbot, Sterbewilligen eine Hilfeleistung anzubieten oder diese durchzuführen, wenn man sich oder einem Dritten dafür wirtschaftliche Vorteile versprechen lässt oder annimmt, die über den Ersatz des nachgewiesenen Aufwands hinausgehen.
Ein Zuwiderhandeln gegen dieses Werbeverbot ist mit einer Geldstrafe bis zu 30.000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 60.000 Euro zu bestrafen.
Der neue § 78 StGB „Mitwirkung an der Selbsttötung“ lautet daher wie folgt:
„Wer eine andere Person dazu verleitet, sich selbst zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer einer minderjährigen Person, einer Person aus einem verwerflichen Beweggrund oder einer Person, die nicht an einer Krankheit im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes leidet oder die nicht gemäß den Voraussetzungen des Sterbeverfügungsgesetzes ärztlich aufgeklärt wurde, dazu physisch Hilfe leistet, sich selbst zu töten.
Zulässig ist es hingegen, eine sterbewillige Person auf die Möglichkeit einer Errichtung einer Sterbeverfügung hinzuweisen sowie auch die Information von Ärzten bzw. der Österreichischen Ärztekammer, dass eine ärztliche Aufklärung im Sinne der Sterbeverfügung angeboten bzw. auch wo diese angeboten wird.
Honorierung
Für die ärztlichen Gespräche sowie die Begutachtung wurde ein Empfehlungshonorar von Euro 132,00 zusätzlich jährlicher Valorisierung beschlossen.
Detailinformationen
Das Sterbeverfügungsgesetz ist unter folgendem Link abrufbar: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2021_I_242/BGBLA_2021_I_242.html
Sterbeverfügungs-Präparate-Verordnung: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2022_II_16/BGBLA_2022_II_16.html
Das elektronische Sterbeverfügungsregister ist für Ärztinnen und Ärzte über folgenden Link erreichbar:
Für technische Rückfragen wurde im Bundesministerium eine eigene IT-Support-Hotline eingerichtet.
Diese ist Montag bis Freitag von 08:00 – 16:00 Uhr unter der Nummer +43 1 71100-644545 oder per Mail unter: It-support@bmg.gv.at erreichbar.
Mag. iur. Barbara Hauer, LL.M., MBA