Medizinische Hilfeleistung bei Notfällen in der Luft
Ferienzeit ist Reisezeit. So mancher Arzt, der sich in den wohlverdienten Urlaub begibt, fragt sich, ob er im Falle eines medizinischen Notfalls im Flugzeug auf dem Weg ans Ferienziel erste Hilfe leisten muss. Immerhin befindet sich statistisch gesehen in 70 % der Langstreckenflüge ein Arzt auf der Passagierliste. Während diese Frage aus Sicht jeden Arztes noch relativ einfach mit einem fast uneingeschränkten „ja, natürlich“ zu beantworten ist, besteht aber häufig die Verunsicherung darin, dass man möglicherweise für sein ärztliches Tun haftungsrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnte.
Vorab zur Beruhigung: Ernste medizinische Notfälle an Bord von Flugzeugen sind selten. „Bei einem Passagieraufkommen von 2 Millionen jährlich haben wir es bei den Austrian Airlines jährlich mit 80-100 medizinischen Notfällen zu tun. Nur etwa 10% hiervon sind als lebensbedrohliche Situationen einzustufen“, berichtet Dr. Josef Czerny, ärztlicher Leiter des Aeromedical Centers der Austrian Airlines. Dennoch sind medizinische Notfälle in der Luft nicht zu unterschätzen. Selbst wenn die meisten Flieger ausreichendes medizinisches equipment mit sich führen (hierfür gibt es europaweite Vorgaben, so dass an Bord zumindest neben einem „doctor`s kit“ medizinischer Sauerstoff und häufig halbautomatische Defibrillatoren vorhanden sind) , können räumliche Enge, Lärm und andere widrige Bedingungen die Hilfeleistung selbst für erfahrene Ärzte erschweren.
Hinsichtlich allfälliger Haftungsfälle gegenüber helfenden Ärzten an Bord wurde mittlerweile auf gesetzlicher Ebene sowie durch viele Fluglinien selbst Vorsorge getroffen. Haftungsrechtlich gilt an Bord eines Flugzeuges jenes Recht, unter dessen Flagge das Flugzeug registriert ist. Es können daher multiple Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen, abhängig vom Recht des jeweiligen Staates, dem der Flieger zuzuordnen ist.
Um Unsicherheiten bei Helfern zu vermeiden und das Engagement der Ärzte im Falle medizinischer Notfälle in der Luft zu fördern, haben die meisten großen europäischen Fluglinien Haftpflichtversicherungen abgeschlossen, die das Haftungsrisiko von Ärzten und von qualifizierten Nichtmedizinern übernehmen. Dies hat den Vorteil, dass im Falle einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Arztes durch den Patienten die eigene Berufshaftpflichtversicherung nicht belastet werden muss. Zu diesem Zweck wird dem Arzt, nachdem er vom Kabinenpersonal zur Hilfeleistung aufgefordert wurde, in der Regel eine so genannte Enthaftungserklärung ausgehändigt, woraus das Bestehen einer entsprechenden Haftpflichtversicherung der Airline hervorgeht.
In den USA, wo in Haftungsprozessen traditionell die höchsten Haftungssummen erreicht werden, wurde bereits 1998 gesetzlich eine Haftung von Helfern in medizinischen Notfällen zur Gänze ausgeschlossen, so lange die unerwünschten Folgen des Hilfeversuchs nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt wurden.
„Die Sorge der Ärzte vor Haftungsfällen ist im Hinblick auf die verschiedenen gesetzlichen Vorschriften absolut verständlich“, so Dr. Czerny, „de facto ist mir aber bislang kein Fall bekannt, in dem tatsächlich ein Patient den Arzt geklagt hätte, der ihm im Flugzeug medizinischen Beistand geleistet hat.“
Einzelne Fluglinien bieten überdies Schulungen für medizinische Notfälle an Bord an. Als Anerkennung für eine Registrierung als „Arzt an Bord“ werden häufig Vielfliegermeilen vergeben.