Keine Amtshaftungsansprüche gegen den Bund aufgrund gesetzwidriger COVID-19 Maßnahmen im Frühjahr 2020
Klägerin macht Verdienstentgang geltend
Unter Berufung auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes macht die Klägerin im Wege der Amtshaftung den Ersatz des Verdienstentganges geltend, der ihr durch das Verbot des Betretens ihrer Gastgewerbebetriebe und ihrer Betriebsstätten des Bekleidungs- und Sportartikelhandels entstanden sei. Das Unterlassen jeglicher Begründung im Verordnungsakt für die verordneten Maßnahmen durch den Gesundheitsminister als Verordnungsgeber sei schuldhaft erfolgt; der verwirklichte Verstoß gegen das Legalitätsprinzip (Art. 18 B-VG) stelle ein ganz besonders grobes Verschulden dar. Einen Vorwurf inhaltlicher Gesetzwidrigkeit der in der Verordnung enthaltenen Beschränkungen behauptet die Klägerin jedoch nicht.
Vorinstanzen weisen das Klagebegehren ab
Die Vorinstanzen werteten das Vorgehen des Gesundheitsministers bei Erlassung der rechtwidrigen Bestimmungen der Verordnungen als vertretbar und wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht führte aus, dass der Verstoß des Gesundheitsministers ausschließlich darin bestanden habe, dass seine Beweggründe nicht in den Verordnungsakten dokumentiert wurden, sodass der Verfassungsgerichtshof die Gesetzmäßigkeit der Verordnungen anhand dieser Akten nicht überprüfen habe können. Da insbesondere keine eindeutige gesetzliche Anordnung einer dokumentationspflichtigen Verordnungsakte bestanden habe, die dazu ergangene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung spärlich und nicht eindeutig gewesen sei und die Verordnungen in einer noch nie dagewesenen Krisensituation unter großem Zeitdruck erlassen werden hätten müssen, sodass eine eingehende Auseinandersetzung mit formalen Dokumentationspflichten nicht verlangt habe werden können, sei die Erlassung der Verordnung, ohne die – ohnehin vorhandenen – Unterlagen in den Verordnungsakt aufzunehmen, als vertretbar anzusehen.
OGH verneint Amtshaftung
Der Oberste Gerichtshof (1 Ob 75/22v) führt aus, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden ist. Das Argument, dass Verordnungen in der Regel nicht unter besonderem Zeitdruck erarbeitet werden müssen, galt gerade in der ersten Phase der Pandemie bei den hier zu beurteilenden COVID-19-Verordnungen nicht. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann insbesondere dann, wenn das für den Rechtsträger zum Handeln verpflichtete Organ rasche Entschlüsse in einer nur schwer durchschaubaren Situation fassen muss nicht schon jedes – ex post als rechtswidrig erkanntes – Verhalten auch als schuldhaft im Sinne des § 1 Abs 1 AHG beurteilt werden. Es kommt stets darauf an, ob die vom Organ getroffene Entscheidung bei pflichtgemäßer Überlegung als vertretbar anzusehen ist.
Der OGH hält weiters fest, dass der Verfassungsgerichtshof erstmalig in seinem Erkenntnis V 411/2020 vom 14.07.2020 ausgesprochen hat, dass die Umstände, die den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung geleitet haben, aus dem Verordnungsakt ersichtlich und dort dokumentiert sein müssen. Die im gegenständlichen Verfahren beanstandeten Bestimmungen der COVID-19-Maßnahmenverordnung waren aber zeitlich davor erlassen worden und traten bereits mit Ablauf des 30. 4. 2020 außer Kraft, sodass der Gesundheitsminister die nunmehrige Klarstellung in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht berücksichtigen konnte.
Mag. Seyfullah Çakır