
Haftung des Belegarztes
Charakteristisch für Belegarztverträge ist, dass zusätzlich zum “normalen” Arzt-Patienten-Verhältnis ein dritter Vertragspartner, das Belegspital, beteiligt ist. Insgesamt bestehen Belegarztverhältnisse somit aus drei Verträgen: 1. Vertrag zwischen Belegarzt und Belegkrankenhaus 2. Vertrag zwischen Patient und Belegarzt und 3. Vertrag zwischen Patient und Belegkrankenhaus. In der Praxis ist den Beteiligten häufig nicht bewusst, dass diese drei Verträge geschlossen werden bzw. wird nicht näher definiert, was vom jeweiligen Vertrag umfasst ist. Dies hat solange keine Konsequenzen, als es zu keinen Schadenersatzansprüchen oder sonstigen Streitigkeiten aus diesem Vertragsverhältnis kommt.
Belegarztverträge werden tagtäglich in den unterschiedlichsten Formen und Qualitäten geschlossen. Angesichts der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist es jedoch ratsam, sich in diesen Fällen auch mit den rechtlichen Rahmenbedingungen näher auseinander zu setzen. Die folgenden Judikaturbeispiele zeigen eine doch sehr umfassende Haftung des Belegarztes, sodass die Kritik der Lehre an einzelnen Entscheidungen aus meiner Sicht durchaus berechtigt ist.
1. Haftung des Belegarztes für das die Operation vorbereitende Personal des Krankenhauses (OGH 27.10.1999, 1 Ob 267/99)
Im konkreten Fall führte der Belegarzt in einem Belegkrankenhaus eine Operation des rechten Kniegelenks durch. Die Operation selbst wurde vom Belegarzt lege artis durchgeführt und erfolgte auch komplikationslos. Lediglich im Nachhinein stellte sich heraus, dass das dem Belegarzt vom Belegkrankenhaus zur Verfügung gestellte Assistenzteam im Zuge der Operationsvorbereitung nicht die nötige Sorgfalt aufgewendet hat. Dadurch trat unmittelbar nach der Operation an der Rückseite des rechten Oberschenkels eine Hautnekrose mit Blasenbildung auf, die Klägerin wurde also verletzt, musste Schmerzen erleiden und führte dieses Verschulden des Personals zu bleibenden Verunstaltungen.
Im Zentrum steht daher die Frage, ob der Belegarzt für Fehlleistungen des Belegspitals, begangen durch das die Operation vorbereitende Personal, einstehen muss. Im Behandlungsvertrag zwischen Belegarzt und Klägerin wurde im Vorfeld nicht hinreichend klargestellt, was der Belegarzt schuldet. Der Oberste Gerichtshof sprach im konkreten Fall letztendlich aus, dass der Belegarzt mit dem zwischen ihm und der Klägerin abgeschlossenen Behandlungsvertrag auch für ein allfälliges Verschulden des Personals des Belegspitals einzustehen hat. Dieses Personal ist laut Obersten Gerichtshof als sogenannter Erfüllungsgehilfe des Belegarztes anzusehen. Dies bedeutet, dass dem Belegarzt ein allfälliges Fehlverhalten des Personals so zugerechnet wird, als ob er diese Fehlleistungen selbst gesetzt hätte.
2. Haftung des Belegarztes für den Anästhesisten
Im Erkenntnis vom 23.11.1999 (1 Ob 269/99m) hatte der Oberste Gerichtshof folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Ein Belegarzt, Facharzt für Orthopädie, führte bei der Klägerin eine Meniskusoperation am rechten Knie in einem Belegspital durch. Die Operation selbst erfolgte lege artis. Zur Durchführung der Operation zog er eine Anästhesistin bei. Aufgrund eines Fehlers der Anästhesistin bei der Intubation entstanden bei der Klägerin Zahnschäden sowie eine Schädigung des Oberkiefers.
Hat der Belegarzt auch für die schuldhaft fehlerhafte Intubation des Anästhesisten einzustehen?
Der Oberste Gerichtshof sprach in der konkreten Entscheidung aus, dass der Belegarzt “auch für das schuldhafte und schadensursächliche Verhalten aller wirtschaftlich selbständigen Ärzte, die im Zuge der Operationsvorbereitung bestimmte für die Erfüllung des Behandlungsvertrages unentbehrliche ärztliche Leistungen unter seiner Oberleitung in Fragen der Operationsorganisation erbringen”, haftet. Kurz zusammengefasst bedeutet dies, dass der Belegarzt auch für die fehlerhafte Intubation einer “eigenverantwortlich” handelnden Anästhesistin einzustehen hat, obwohl er an diesem Fehler nicht direkt mitgewirkt hat. Eine fachliche Weisungsbefugnis des Belegarztes an die Anästhesistin ist keine Voraussetzung für die Qualifizierung als Erfüllungsgehilfin.
Der Oberste Gerichtshof begründet seine Entscheidung damit, dass der Belegarzt für eine “Assistenz seiner Wahl” haftet, weil diese als sogenannte Erfüllungsgehilfen zu qualifizieren sind. Dies bedeutet, dass er für deren Fehlverhalten so haftet, als ob er selbst einen ärztlichen Behandlungsfehler begangen hätte. Weiters führt der Oberste Gerichtshof aus, dass die Vorbereitung auf eine Operation und damit einhergehend die Anästhesie mit der eigentlichen Meniskusoperation untrennbar verbunden ist. Die Anästhesistin wird daher zur “Gehilfin in Erfüllung des Behandlungsvertrages” und damit haftet der Belegarzt für deren Fehlverhalten.
3. Gemeinsame Haftung des Belegarztes und des Belegspitals für fehlerhafte Nachbehandlung (OGH 29.9.2009, 8 Ob 103/09v)
Der Oberste Gerichtshof spricht sich in der Entscheidung vom 29.9.2009 für eine solidarische, also eine gemeinsame Haftung des Belegarztes und des Belegspitals bei Fehlern, die durch eine beim Belegspital tätige Stationsärztin bei der Nachbehandlung verursacht wurden, aus.
Ein Belegarzt führte im Belegspital eine Hämorrhoidenoperation lege artis durch. Im Zuge der Nachbehandlung durch die Stationsärztin des Belegspitals mittels Anordnung von fiebersenkenden Maßnahmen ohne weitergehende Abklärung und der verspäteten Durchführung der notwendigen Ursachenforschung aufgrund erneutem Fieber mittels Laboruntersuchung, konnte die eingetretene Infektion erst zu spät behandelt werden. Beim Patienten wurden dadurch Schäden, auch Dauerschäden, verursacht.
Wer haftet für Fehler bei der Nachbehandlung durch das Personal des Belegspitals?
Ganz allgemein führt der Belegarzt die ihm obliegende Behandlung des Patienten - einschließlich der notwendigen Nachbetreuung - eigenverantwortlich, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durch. Der Belegarzt ist zur Operation im Belegspital befugt und, solange ein stationärer Aufenthalt notwendig ist, dort nachzubehandeln und vom Spitalspersonal betreuen zu lassen. Zur Operationsdurchführung hat das Belegspital seine Räumlichkeiten und Instrumente zur Verfügung zu stellen. Dem Belegarzt wird grundsätzlich auch die Mitwirkung nachgeordneter Ärzte, Schwestern und Pflegepersonal zugesagt und unterstehen diese den Weisungen und Anordnungen des Belegarztes. Aufgabe des Belegspitals ist die Unterbringung, Verpflegung und die Zurverfügungstellung der für die Behandlung erforderlichen Hilfe. Einerseits werden damit die Leistungspflichten gegenüber dem Patienten in jene des Belegarztes und jene des Krankenhausträgers aufgespalten andererseits können sich diese Pflichten auch überschneiden. Zu diesem Ergebnis kam letztendlich der Oberste Gerichtshof auch in dieser Entscheidung, weswegen er die solidarische Haftung des Belegarztes und des Krankenhausträgers ausgesprochen hat.
Kurz zusammengefasst bedeutet dies Folgendes: Der Belegarzt ist auch für die Nachbehandlung allfenfalls auftretender Komplikationen verpflichtet. Die Stationsärztin wird als Erfüllungsgehilfin des Belegarztes im Rahmen der Nachbetreuung tätig. Der Belegarzt hat daher für ihre Einschätzungs- und Behandlungsfehler einzustehen. Die Stationsärztin ist aber auch Erfüllungsgehilfin des Belegspitals, weswegen auch dieses haftet (Solidarhaftung).
Aus diesem Erkenntnis ist ersichtlich, dass der Oberste Gerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Aufgabenverteilung zwischen Belegarzt und Belegspital weiterhin festhält. Neu ist in dieser Entscheidung lediglich der Ausspruch über die solidarische Haftung sowohl des Belegarztes als auch des Krankenhausträgers. Die Solidarhaftung hängt allerdings immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
4. Haftung des Belegarztes für Komplikationen während und nach der Operation (7 Ob 2/09h)
Im konkreten Fall entfernte der Belegarzt einen Marknagel aus dem linken Oberschenkel des Klägers im Belegspital operativ, wobei die Kniegelenksarterie durchtrennt wurde. Obwohl der Belegarzt zuerst richtig reagierte, traten im Folgenden Schmerzen und letztendlich ein Wiederverschluss der Arterie ein.
Der Belegarzt hätte aufgrund der vom Patienten im Zuge seiner Visiten geäußerten Probleme an einen Wiederverschluss der Arterie denken und diesen Verdacht mittels Angiographie abklären müssen. Dadurch hätte die weitere notwendige Operation früher durchgeführt werden können und wären weitergehende Komplikationen mit größter Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten. Die Verabsäumung der Durchführung der Angiographie wurde vom Obersten Gerichtshof somit als fehlerhaftes Verhalten eingestuft.
Alleinige Haftung des Belegarztes oder gemeinsame Haftung des Belegarztes und des Belegspitals?
Der Oberste Gerichtshof hat zunächst zu Recht erneut darauf hingewiesen, dass sich die Frage, ob eine solidarische Haftung sowohl des Belegarztes als auch des Belegspitals vorliegt, nicht generell beantworten lässt, sondern nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Im konkreten Fall hat er die gemeinsame Haftung verneint und sich für die alleinige Haftung des Belegarztes ausgesprochen. Der Oberste Gerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass der Belegarzt bei pflichtgemäßem Verhalten (=Durchführung der Angiographie) noch rechtzeitig den Wiederverschluss der Arterien feststellen hätte können. Das konkrete Entscheidungsergebnis wird von der Lehre zu Recht kritisiert.
Empfehlung aufgrund der bisherigen Rechtsprechung zur Belegarzthaftung
In Anbetracht der bisherigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes betreffend die Haftung von Belegärzten ist es sehr ratsam, bereits vor Tätigwerden als Belegarzt deutliche und klare vertragliche Regelungen sowohl mit dem Patienten über den Umfang der Leistungen als auch mit dem Belegkrankenhaus über die Aufgaben des Personals und damit einhergehend auch über die jeweilige Haftung zu treffen. Obwohl die vom Obersten Gerichtshof getroffenen Entscheidungen von der Lehre sehr kontroversiell diskutiert wurden und der Haftungsrahmen des Belegarztes aus meiner Sicht zu weit geht, zeigen die oben angeführten Beispiele des Obersten Gerichtshofes doch mehr als deutlich, dass fehlende Vereinbarungen über Zuständigkeiten und Haftungsumfang häufig zu Lasten des Belegarztes gehen.
Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass in diesem Bereich das Konsumentenschutzgesetz Anwendung findet und daher vertragliche Vereinbarungen auch unter diesem Gesichtspunkt zu gestalten sind. Sinnvoll ist es daher, die Belegarzttätigkeit jedenfalls durch eine Haftpflichtversicherung entsprechend abzudecken.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist für Belegärzte, die gleichzeitig im Rahmen eines Dienstverhältnisses als Spitalsarzt tätig sind, abzuklären, ob sie diese Belegarzttätigkeit aus Gründen der Konkurrenzierung überhaupt ausüben dürfen.