Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht
Ärzte unterliegen der Schweigepflicht
Grundsätzlich sind Ärzte und ihre Hilfspersonen zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet. Unter „Geheimnisbegriff“ sind Tatsachen zu verstehen, die nur dem Geheimnisträger selbst oder einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und bei denen ein Interesse besteht, diese Außenstehenden nicht bekannt zu machen.
OGH vom 12.12.2002, 6 Ob 267/02m
Der OGH hat es für zulässig erachtet, die Führerscheinbehörde zu informieren, wenn ein Patient bewusstlos und mit erheblichen Restalkohol in eine Krankenanstalt eingeliefert wird, die Ursache der anfallsartigen Bewusstlosigkeit nicht festgestellt werden kann und der Verdacht einer Alkoholkrankheit besteht. Weiters war im klagsgegenständlichen Fall von einer ernstzunehmenden Gefahr anderer Verkehrsteilnehmer aufgrund der Alkoholkrankheit des Patienten, welcher nebenberuflich als Rettungswagenfahrer tätig war, auszugehen, da sich dieser stets unkooperativ verhielt und eine weitere Abklärung verweigerte. Im vorliegenden Fall bestanden aus der Sicht der Ärzte schwerwiegende Hinweise auf eine krankheitsbedingte Bewusstseinsstörung, sei es in Form einer Anfallskrankheit oder des Alkoholismus. Nach Entlassung des Patienten gegen Revers übermittelte die Krankenanstalt den Befund an den Amtsarzt der örtlichen zuständigen Bezirkshauptmannschaft zur Überprüfung der Kfz-Tauglichkeit.
Abwägung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber den öffentlichen Interessen und höherwertigen Rechtsgüter
Den behandelnden Ärzten ist jedoch kein rechtswidriges Verhalten vorzuwerfen, da diese nach § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG von ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht entbunden sind, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist.
Die ärztliche Verschwiegenheitspflicht schützt nicht nur die Privatsphäre des Patienten, sondern dient auch dem Schutz von Leib und Leben. Hinsichtlich der Beurteilung der erforderlichen Interessensabwägung muss auch die Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung für Leib und Leben berücksichtigt werden, da bei einer geringen Gefahr das Interesse an der Geheimhaltung überwiegt. Das Geheimhaltungsinteresse des Klägers ist deshalb schon nicht vorrangig, weil der Kläger durch seine Tätigkeit als Rettungsfahrer bereits ein höheres Risiko für die Beeinträchtigung des Lebens und der Gesundheit anderer verwirklicht.
Nach gewissenhafter Interessenabwägung ist eine Mitteilung des Arztes im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege vertretbar und auch geboten. Voraussetzung für die Durchbrechung des Berufsgeheimnisses ist, dass die Durchbrechung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht das einzige Mittel darstellt, um eine konkrete Gefahr abzuwenden. Zeigt sich der Patient kooperativ und lässt sich die vom Patienten für Dritte ausgehende Gefahr durch die Behandlung, beispielsweise durch Einnahme von Medikamenten oder Teilnahme an einer Therapie, beherrschen, ist eine Offenlegung unzulässig.