Aufklärungspflicht
I. Allgemeines:
Jeder Patient hat ein Recht auf Aufklärung, dieses Recht ergibt sich einerseits aus dem Behandlungsvertrag, andererseits aus rechtlichen Vorgaben (beispielsweise § 49 ÄrzteG). Die zentrale Funktion der Aufklärung liegt in der Wahrung der Entscheidungsfreiheit des Patienten, um ihn jene Informationen zu vermitteln, die er benötigt, um das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite einer medizinischen Maßnahme erfassen zu können. Die ärztliche Information an den Patienten dient somit der Vorbereitung einer konkreten Entscheidung des betroffenen Patienten, ob er die Einwilligung zur Vornahme einer medizinischen Maßnahme erteilt oder diese ablehnt. Die Aufklärung ist somit als ein Teil der ärztlichen Behandlung anzusehen, ohne die der Patient sein Selbstbestimmungsrecht nicht ausüben kann. Es ist somit Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung in die ärztliche Behandlung seitens des Patienten, dass er vorher eine dementsprechende Aufklärung seitens des Arztes erhalten hat.
II. Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung:
Prinzipiell ist jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität eines Patienten rechtswidrig, wenn dieser ohne vorausgegangene Aufklärung vorgenommen wurde. Es ist somit für eine wirksame Einwilligung des Patienten in eine ärztliche Behandlungsmaßnahme notwendig, dass der Patient die vorangegangene Aufklärung auch tatsächlich inhaltlich verstanden hat. Der aufklärende Arzt hat somit medizinische Fremdwörter und termini technici für seine Patienten entsprechend verständlich zu erklären, ist der Patient der deutschen Sprache nicht mächtig, so ist vom Arzt auch ein Dolmetsch beizuziehen. Es ist für eine rechtmäßige Aufklärung des Patienten erforderlich, dass der Arzt mit dem Patienten ein situationsangepasstes Gespräch führt. Eine reine Formularaufklärung reicht hingegen nicht aus. Ein Formular kann aber sehr wohl zusätzlich als Checkliste herangezogen werden.
III. Umfang der Aufklärung:
Der notwendige Umfang der Aufklärung richtet sich primär nach der Dringlichkeit und Notwendigkeit der geplanten medizinischen Maßnahme. Es ist grundsätzlich eine sehr umfassende Aufklärung geboten, wenn der Eingriff zwar medizinisch indiziert, jedoch nicht zwingend unverzüglich durchzuführen ist. In diesen Fällen ist auch auf die Möglichkeit äußerst selten vorkommender Zwischenfälle hinzuweisen. Ist jedoch ein Eingriff aus medizinischer Sicht überhaupt nicht dringlich bzw. besteht für den Eingriff keine medizinische Indikation (z.B. Schönheitsoperationen), ist eine über das normale Ausmaß der Aufklärung hinausgehende Information über sämtliche, auch nur äußerst selten auftretende Komplikationen sowie auf bloße mit der Behandlung verbundene Unannehmlichkeiten hinzuweisen. Im Gegensatz dazu kann die Aufklärung gering ausfallen, wenn ein medizinischer Eingriff dringend und unverzüglich erfolgen muss. Dies geht soweit, dass bei medizinischen Notfällen überhaupt keine Aufklärung erforderlich ist, wenn die Zustimmung des Patienten nicht eingeholt werden kann (Bewusstlosigkeit des Patienten). Generell kann gesagt werden, dass eine Aufklärung umso geringer ausfallen kann, je dringlicher und unverzüglicher eine medizinische Behandlung erfolgen muss. Ein Patient sollte natürlich auch in sehr dringlichen Fällen dementsprechend aufgeklärt werden, sofern dies in irgendeiner Art und Weise für den Arzt noch möglich erscheint.
IV. Arten der Aufklärung:
Man unterscheidet drei Arten der Aufklärung.
Diagnoseaufklärung:
Darunter wird die Mitteilung der zu erhebenden oder erhobenen Befunde verstanden. Im Rahmen der Diagnoseaufklärung ist auch eine Verdachtsdiagnose dem Patienten mitzuteilen.
Verlaufsaufklärung:
Darunter versteht man die Mitteilung über Art, Umfang, Durchführung, Schwere, Dringlichkeitsgrad, Erfolgsaussichten des geplanten Eingriffs, mögliche Behandlungsalternativen und Krankheitsverlauf bei Ablehnung der medizinischen Maßnahme.
Risikoaufklärung:
Darunter versteht man die Mitteilung der Komplikationen und Nebenfolgen eines ansonsten kunstgerecht vorgenommenen Eingriffs. Dabei ist über die typischen Risiken eines medizinischen Eingriffs unabhängig von der prozentuellen Wahrscheinlichkeit aufzuklären. Es ist auch über allgemeine Komplikationsrisiken im Zusammenhang mit dem medizinischen Eingriff aufzuklären wie beispielsweise auftretende Blutungen oder ein Infektionsrisiko. Weiters hat der Arzt dem Patienten über besondere Risiken, die sich aus der Patientensphäre ergeben, aufzuklären. Darunter fallen beispielsweise der Beruf des Patienten, seine körperlichen Merkmale, seine Freizeitgestaltung, etc. Der Arzt hat schlussendlich auch noch den Patienten über Risiken, die sich aus der Behandlersphäre ergeben, aufzuklären. Darunter werden hygienische Verhältnisse, häufige Infektionen, apparative Ausstattung, etc. verstanden.
V. Adressaten der Aufklärung:
Prinzipiell kann ein Patient in eine medizinische Maßnahme nur dann einwilligen, wenn er die dementsprechende Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt. Ist ein Patient einsichts- und urteilsfähig, so ist der Patient selbst der Adressat der ärztlichen Aufklärung.
Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann gemäß § 146c ABGB das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst erteilen. Sind minderjährige Patienten nicht einsichts- und urteilsfähig, sind die Pflege- bzw. Erziehungsberechtigten für die Zustimmung zur medizinischen Behandlung zuständig. Bei den mündig Minderjährigen (14- bis 18-Jährige) wird die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit vom Gesetz her vermutet. Es genügt daher vor allem bei kleineren Eingriffen wie beispielsweise einer Grippeschutzimpfung die Einwilligung des urteilsfähigen minderjährigen Patienten. Hat jedoch die medizinische Behandlung eine schwere oder nachhaltige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit des minderjährigen Patienten zur Folge, so darf diese medizinische Maßnahme nur dann vorgenommen werden, wenn auch die pflege- bzw. erziehungsberechtigte Person damit betraut worden ist.
Für psychisch kranke oder geistig behinderte Patienten ist je nach Ausmaß der geistigen Behinderung ein Sachwalter gemäß § 273 ABGB zu bestellen. Zu den wesentlichen Aufgaben eines Sachwalters zählt auch, die ärztliche und soziale Betreuung des besachwalteten Patienten sicher zu stellen. Gemäß § 283 Abs. 1 ABGB hat in eine medizinische Behandlung in erster Linie die behinderte Person selbst einzuwilligen, sofern sie einsichts- und urteilsfähig ist. Liegt allerdings keine Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten vor, so ist die Zustimmung zur medizinischen Behandlung des Sachwalters, dessen Wirkungsbereich die Besorgung dieser Angelegenheit umfasst, notwendig. Handelt es sich allerdings um eine medizinische Behandlung, die in aller Regel mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder Persönlichkeit verbunden ist, kann der Sachwalter nur dann rechtswirksam zustimmen, wenn von einem zweiten unabhängigen Arzt bestätigt wurde, dass bei der betreffenden Person die Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht gegeben ist. Liegt eine derartige Bestätigung in Form eines ärztlichen Zeugnisses nicht vor, ist für die Zustimmung des Sachwalters die Genehmigung des Gerichts erforderlich. Ebenfalls bedarf die Zustimmung des Sachwalters einer gerichtlichen Genehmigung, wenn die behinderte Person zu erkennen gibt, dass sie die medizinische Behandlung ablehnt.
VI. Aufklärung durch den Arzt:
Die gesetzliche Aufklärungspflicht gilt als ärztliche Aufgabe. Ein Arzt kann somit die Aufklärung nicht an ein nichtärztliches medizinisches Personal delegieren, eine Delegierung an ärztliches Personal ist aber prinzipiell möglich. Aufklärungspflichtig ist prinzipiell jener Arzt, der die konkrete Behandlung auch eigenverantwortlich durchführt. Wirken nun mehrere Ärzte im Rahmen einer Behandlung eigenverantwortlich mit, so schuldet nicht jeder Arzt eine umfassende Aufklärung über die gesamten Risiken, sondern ihn trifft lediglich die Verpflichtung, über die mit seiner Behandlung verbundenen Risiken den Patienten aufzuklären. Schließlich hat der Arzt, der den Eingriff letztendlich vornimmt, sich über den bisherigen Stand der Aufklärung zu vergewissern und dafür zu sorgen, dass das Versäumte nachgeholt wird. Entscheidend ist, dass der aufzuklärende Patient den Überblick über seine gesamte medizinische Behandlung nicht verliert. Damit verbunden ist auch die Dokumentation der Aufklärung durch den Arzt. Die Beweislast für die gebotene Aufklärung bzw. eine erfolgte rechtswirksame Einwilligung in die Behandlung trifft den Arzt. Das bedeutet, dass der Arzt den Beweis nur dann führen kann, dass der Behandlungsvertrag ordnungsgemäß abgeschlossen wurde, wenn es nachvollziehbar ist, dass der Patient tatsächlich in die durchgeführte Behandlung eingewilligt hat und er daher nicht eigenmächtig tätig wurde.
VII. Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Arzt:
Die Verletzung der Aufklärungspflicht kann für den Arzt wesentliche Folgen haben.
In strafrechtlicher Hinsicht: Der Arzt kann wegen eigenmächtiger Heilbehandlung gemäß § 110 Strafgesetzbuch belangt werden, wenn er die Aufklärung gegenüber dem Patienten nicht durchgeführt hat.
In disziplinarrechtlicher Hinsicht: Der Arzt ist verpflichtet, nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zu behandeln, wozu insbesondere eine entsprechende Aufklärung des Patienten gehört. Verstößt der Arzt gegen diese Gebote, kann er disziplinarrechtlich sehr wohl belangt werden.
In zivilrechtlicher Hinsicht: Der Arzt kann vom Patienten selbst dann vor einem Zivilgericht belangt werden, wenn die Behandlung lege artis durchgeführt wurde, sich aber bei der medizinischen Behandlung ein Risiko verwirklicht hat, über das der Patient trotz entsprechender Aufklärungspflicht nicht aufgeklärt worden ist.
In dienstrechtlicher Hinsicht: Schlussendlich kann ein angestellter Arzt auch von seinem Dienstgeber (Rechtsträger einer Krankenanstalt) belangt werden, wenn er seine Pflichten als angestellter Arzt nur mangelhaft erfüllt hat, weil er die Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten verletzt hat.
VIII. Therapeutisches Privileg:
Unter gewissen Umständen kann die Aufklärungspflicht des Arztes in Einzelfällen beschränkt werden, wenn dies dem überwiegenden Interesse des Patienten dient. Ein derartiger Fall liegt beispielsweise dann vor, wenn begründeterweise damit zu rechnen ist, dass eine vollständige Aufklärung negative, unter Umständen eine unbehebbare körperliche oder seelische Beeinträchtigung hervorrufen würde. Von dieser unvollständigen Aufklärung im Rahmen des therapeutischen Privilegs wird aufgrund der damit verbundenen Gefahren nur selten Gebrauch gemacht, es wird vermehrt der wahrheitsgemäßen Vollaufklärung der Vorzug gegeben.
IX. Zusammenfassung:
Jede ärztliche Behandlung setzt einen Behandlungsvertrag voraus. Der Patient muss in die bevorstehende medizinische Maßnahme einwilligen, weil andernfalls eine eigenmächtige Heilbehandlung durch den Arzt vorliegt. Das Ausmaß und der Umfang einer ärztlichen Aufklärung richten sich wie oben erwähnt nach der Dringlichkeit des medizinischen Eingriffes. Die Aufklärungspflicht des Arztes erstreckt sich auch auf Medikamente, die schwerwiegende Nebenwirkungen hervorrufen können. Auch in diesem Fall ist eine Aufklärung durch den das Medikament verordnenden Arzt erforderlich. Abschließend sei noch auf den sogenannten Aufklärungsverzicht hingewiesen, dieser ist jedoch mit größter Vorsicht zu genießen, denn die Problematik des Aufklärungsverzichts liegt darin, dass ein Patient nicht auf etwas verzichten kann, worüber er nicht im vorhinein aufgeklärt wurde. Es müsste somit für die Gültigkeit eines Aufklärungsverzichts seitens des Patienten vorher eine umfassende Aufklärung seitens des Arztes erfolgt sein.
Mag. Christoph Voglmair, PLL.M.