Einmalige Nachlässigkeit einer angestellten Ärztin stellt keinen Entlassungsgrund dar
Ärztin verabreicht falsche Injektionslösung
Im Zuge der Akutbehandlung einer Patientin im Spital der Beklagten trug die angestellte Ärztin (Klägerin) der zuständigen Diplomkrankenpflegerin telefonisch auf, Infusionen vorzubereiten, u.a. eine Spritze mit 1 mg Adrenalin. Diese verstand jedoch „Noradrenalin“ und bereitete eine Spritze mit Noradrenalin vor. Anschließend fragte sie bei der Klägerin nochmals nach, ob sie tatsächlich „Noradrenalin“ spritzen wolle. Die Klägerin verstand wieder „Adrenalin“ und bestätigte die beabsichtigte Verabreichung von 1 mg Adrenalin.
Die Klägerin verabreichte der Patientin zunächst ein Kortisonpräparat und danach, weil es der Patientin immer noch nicht besser ging, das Medikament Fenistil. Aufgrund eines anaphylaktischen Schocks entschied die Klägerin Adrenalin zu spritzen. Sie nahm die von der Diplomkrankenpflegerin vorbereitete Spritze ohne die in einer Nierentasse vorbereitete und abgelegte Ampulle zu kontrollieren. Sie ging davon aus, dass es sich – wie angeordnet – um 1 mg Adrenalin handelte. Die Klägerin verabreichte der Patientin – weil ein Zugang bereits vorbereitet war – intravenös langsam zunächst die Hälfte der vorbereiteten Menge; da es der Patientin nach einigen Minuten noch schlechter ging, verabreichte ihr die Klägerin auch die zweite Hälfte der Ampulle. Der gesamte Inhalt der Spritze wurde über eine Zeitdauer von fünf Minuten verabreicht. Als kurz danach die Diplomkrankenpflegerin in das Patientenzimmer kam, erklärte sie der Klägerin, dass sie eine Ampulle mit 5 mg Noradrenalin vorbereitet hatte. Damit war der Klägerin sofort klar, dass es sich nun um eine lebensgefährliche Situation handelte und leitete Notmaßnahmen ein. Diese waren erfolgreich. In der Folge trug die Klägerin die Verabreichung von Noradrenalin auch im Patientenakt ein.
Die Klägerin war aufgrund der vorliegenden Symptome der Patientin zu Recht von einem anaphylaktischen Schockgeschehen ausgegangen. Auch das Spritzen von Adrenalin war als Therapie grundsätzlich richtig gewählt worden. Primär ist jedoch die Gabe von 0,3 bis 0,5 mg Adrenalin als intramuskuläre Injektion via Auto-Injektor zu bevorzugen. Wenn mehrere intramuskuläre Injektionen keine ausreichende Wirkung zeigen bzw. keine Auto-Injektion vorhanden ist, ist der intravenöse Zugang zu wählen. Bei anaphylaktischen Reaktionen ist eine fraktionierte Gabe (0,1 mg in Abständen von mehreren Minuten) von Adrenalin durchzuführen. Nur bei ausgeprägtem Blutdruckabfall bzw. Schock oder einem Herz-Kreislauf-Stillstand wird 1 mg Adrenalin in einem verabreicht. Die intramuskuläre Injektion ist zwar in den Richtlinien der Leitlinie als Erstmaßnahme vorgesehen, in den Krankenhäusern wird jedoch, wenn bereits ein peripherer Zugang gelegt wurde – wie auch bei der Patientin – die Verabreichung von Adrenalin primär über die Vene durchgeführt; es ist jedoch wiederum die fraktionierte Gabe des Medikaments erforderlich.
Dem Zustandsbild der Patientin entsprechend hätte Adrenalin langsam verabreicht werden müssen. Wäre das angeordnete richtige Medikament Adrenalin (anstatt von Noradrenalin) verabreicht worden, so wäre die Verabreichung somit nicht lege artis erfolgt. Wäre tatsächlich Adrenalin statt Noradrenalin injiziert worden, wären die Auswirkungen, die durch die Gabe von Noradrenalin eingetreten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten.
Eine Überprüfung des Medikaments wäre durch eine optische Kontrolle der Ampulle und der Spritze in der Nierentasse möglich gewesen. Eine Verabreichung von 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml ist nicht üblich. Infusionen werden grundsätzlich nach Anordnung durch ÄrztInnen auch durch diplomiertes Gesundheitspersonal vorbereitet und auch verabreicht bzw. angehängt.
Ärztin bekämpft Entlassung
Der Klägerin ist bisher im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit kein ähnlicher Fehler unterlaufen, sie war auch von der Beklagten zuvor nie wegen eines Fehlverhaltens verwarnt worden. Wegen dieses Vorfalls sprach die Beklagte am Folgetag die Entlassung der Klägerin aus. Die Klägerin macht daraufhin gerichtlich entlassungsabhängige Ansprüche geltend. Sie habe keinen Entlassungsgrund gesetzt.
Entscheidungen der Vorinstanzen
Das Erstgericht sah die Entlassung als nicht gerechtfertigt an, da die Klägerin zwar ihre Kontrollpflicht vor Verabreichung des Medikaments verletzt habe, es aber der Beklagten trotz dieser einmaligen Fehlleistung zumutbar gewesen wäre, die Klägerin weiter zu beschäftigen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Spitals Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Fehlbehandlung der Klägerin sei nicht als bloße Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren. Die unterlassene Kontrolle der von der Diplomkrankenpflegerin vorbereiteten Spritze sei aufgrund der vorangegangenen Kommunikationsprobleme besonders vorwerfbar und damit grob fahrlässig, zumal die Klägerin nach ihren eigenen Angaben gewusst habe, dass die Diplomkrankenpflegerin – jedenfalls zunächst – Noradrenalin verstanden habe und die Klägerin der Patientin eine Spritze mit 5 ml Inhalt verabreicht habe, obwohl sie auf der Ampulle „1 mg pro ml“ gelesen habe. Die Klägerin hätte daher nicht davon ausgehen dürfen, dass sich in der Spritze 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml befunden habe, zumal eine Verabreichung von 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml nicht üblich sei.
OGH hält Entlassung nicht für gerechtfertigt
Der OGH (9 ObA 75/22b) verweist zunächst darauf, dass im vorliegenden Fall keine ärztliche Aufsichtspflicht gegenüber der Diplomkrankenpflegerin bestanden habe. Die ärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener ärztliche Tätigkeiten keine ärztliche Aufsicht vorsehen.
Nach § 15 GuKG umfassen die Kompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege bei medizinischer Diagnostik und Therapie die eigenverantwortliche Durchführung medizinisch-diagnostischer und medizinisch-therapeutischer Maßnahmen und Tätigkeiten nach ärztlicher Anordnung. Zu den Kompetenzen der DGKP zählen unter anderem auch die Vorbereitung und Verabreichung von Injektionen und Infusionen (§ 15 Abs 4 Z 2 GuKG). Diese Regelung stellt klar, welche ärztlichen Tätigkeiten an diplomierte Pflegepersonen delegiert werden dürfen. Dabei verbleibt die Anordnungsverantwortung bei den Ärzten, die Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege tragen die Durchführungsverantwortung. Für die in § 15 GuKG angeführten Kompetenzen der diplomierten Krankenpflegeberufe entfällt somit die Aufsichtspflicht des Arztes gemäß § 49 Abs 3 letzter Satz ÄrzteG zur Gänze.
Die Vorbereitung der von der Klägerin angeordneten Injektion durch die Diplomkrankenpflegerin konnte somit eigenverantwortlich erfolgen und musste von der Klägerin grundsätzlich nicht mehr überprüft werden. Sie durfte darauf vertrauen, dass das von ihr angeordnete Medikament 1 mg Adrenalin richtig vorbereitet wird. Bei einer mündlichen Anordnung – von einer schriftlichen Anordnung konnte hier wegen der Dringlichkeit der Maßnahme abgesehen werden – muss die Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit der Anordnung sichergestellt sein. Davon durfte hier die Klägerin vorerst ausgehen, weil sie der Diplomkrankenpflegerin über deren mehrmaliges Nachfragen die Anordnung des richtigen Medikaments Adrenalin bestätigte.
Nachdem jedoch die Klägerin das Etikett der Ampulle mit der Aufschrift „1 mg pro ml“ las und wusste, dass sich in der Ampulle insgesamt 5 ml befanden, hätte sie erkennen können, dass es sich dabei nicht um 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml handelte. Auch wenn die Klägerin grundsätzlich keine Kontrollpflicht der vorbereiteten Spritze traf, so hätte sie in der konkreten Situation doch den bei der Vorbereitung der Spritze unterlaufenen Fehler erkennen können, hätte sie das Etikett mit dem Inhalt der Spritze verglichen. Zu dieser Überprüfung wäre sie nach den konkreten Umständen auch verpflichtet gewesen.
Diese einmalige Nachlässigkeit der Klägerin in einer konkreten Notsituation eines anaphylaktischen Schockgeschehens war aber nicht so schwerwiegend, dass dem beklagten Spital die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar war. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ist der Klägerin kein ähnlicher Fehler unterlaufen. Sie war auch von der Beklagten zuvor nie wegen eines Fehlverhaltens verwarnt worden. Die Entlassung war daher im Ergebnis nicht gerechtfertigt.
Mag. Seyfullah Çakır